Das Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr von 1999 (kurz: Montrealer Übereinkommen) stellt eine der wichtigsten Rechtsgrundlagen des internationalen Flugrechts dar. Das Übereinkommen ist der Nachfolger des Warschauer Abkommens aus dem Jahre 1929 und regelt unter Anderem die Haftung bei Verspätungen und Beschädigungen des Fluggepäcks, der Luftfracht sowie die Haftung bei Personenschäden.
Vom Warschauer Abkommen zum Montrealer Übereinkommen
Das Warschauer Abkommen über die Beförderung im internationalen Luftverkehr wurde 1929 in Warschau unterzeichnet. Es wurde im Laufe der Zeit mehrmals durch Zusatzprotokolle, wie etwa das Haager Zusatzprotokoll von 1955, modernisiert und erweitert. Das Warschauer Abkommen beschäftigte sich neben Regelungen über Flugscheine und Fluggepäckscheine im Herzstück vor allem mit der Haftung des Flugbetreibers für Personenschäden und Sachschäden an Gepäck und Luftfracht. Etabliert wurde konkret eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung der Flugbetreiber – in der Regel die Fluglinien – für etwaige Schäden. Das bedeutet, dass lediglich ein etwaiger Schaden nachgewiesen werden musste, nicht aber ein Verschulden in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Das Ganze war pro Schadensfall aber je nach Schadenart beschränkt:
- 250.000 Goldfranken (ursprünglich nur 125.000) oder 16.600 Sonderziehungsrechte (SZR) bei Personenschäden
- 250 Goldfranken oder 19 SZR pro Kilogramm bei Verspätung/Verlust/Beschädigung des Aufgabegepäcks
- 5.000 Goldfranken oder 332 SZR bei Beschädigungen am Handgepäck
Goldfranken waren eine bis 2003 existierende Fiktivwährung. In Folge wurde sie mit Einführung des Montrealer Übereinkommens durch Sonderziehungsrechte (SZR), eine künstliche Währung des Internationalen Währungsfonds (IWF), abgelöst, welche auch beim Montrealer Übereinkommen zur Anwendung kommt. Die summenmäßigen Haftungsbeschränkungen gelten nicht, wenn die Fluglinie den Schaden mit grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz verursacht hat.
Wie sich an diesen relativ niedrigen Summen erkennen lässt, stand mit dem Warschauer Abkommen von 1929 weniger das Wohl der Passagiere und Passagierinnen im Vordergrund, als vielmehr das finanzielle Interesse der Fluglinien, horrend hohen Schadenersatzforderungen zu entgehen, welche zu diesem Zeitpunkt die Entwicklung des Luftverkehrs als Ganzes gefährden hätten können. Auf Druck der USA hin wurden die maximalen Haftungsbeträge bei Personenschäden zunächst durch das erwähnte Haager Zusatzprotokoll 1955 und im Jahr 1966 erneut erhöht.
Die Einführung des Montrealer Übereinkommens
Nach den zahlreichen Modifizierungen und Erweiterungen des Warschauer Abkommens von 1929 stellte sich nun das Problem, dass einige äußerst bedeutende Nationen diese Erweiterungen nicht ratifiziert hatten und das sogenannte „Warschauer System“ dadurch zersplittert war. Zusätzlich war das Abkommen auch sprachlich und begrifflich nicht mehr auf der Höhe der Zeit. An dessen Stelle sollte nun das 1999 unterzeichnete und 2003 in Kraft getretene Montrealer Übereinkommen treten.
Neben einer neuen fiktiven Währung, den Sonderziehungsrechten (SZR), brachte das Montrealer Übereinkommen vor allem deutlich höhere Haftungsgrenzen sowie einen zusätzlichen Gerichtsstand bei Personenschäden, wonach ein betroffener Passagier nun auch in dem Vertragsstaat Klage einreichen kann, in welchem er seinen Hauptwohnsitz hat, vorausgesetzt, dass die Fluggesellschaft diesen Staat direkt oder indirekt anfliegt. Zudem wurden Fluglinien zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichtet, um die Zahlungsfähigkeit an die Geschädigten im Haftungsfall abzusichern.
Das Montrealer Übereinkommen wurde – Stand Jetzt – von 136 Staaten ratifiziert, darunter auch sämtliche Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada oder China. Eine genaue Auflistung der derzeitigen Vertragsstaaten findet ihr hier auf der ICAO-Webseite.
Das Montrealer Übereinkommen – Der Anwendungsbereich
Damit das Montrealer Übereinkommen zur Anwendung gelangt, muss sowohl der Abflug- als auch der Ankunftsort des Fluges (am Endziel) in einem Vertragsstaat liegen. Ist dies nicht der Fall, kann alternativ das Warschauer Abkommen (gegebenenfalls samt etwaigen Zusatzprotokollen) zur Anwendung kommen, wenn beide Staaten dieses ratifiziert haben.
Beispiel: Ihr fliegt von Vietnam nach Laos. Das Montrealer Übereinkommen findet seit Ende 2018 Anwendung auf Vietnam, Laos ist hingegen kein Vertragsstaat. Das MÜ kann daher nicht zur Anwendung kommen. Beide Staaten haben jedoch das Warschauer Abkommen samt Haager Zusatzprotokoll ratifiziert, welches damit anwendbar ist.
Zudem muss es sich um eine internationale Beförderung von Personen, Reisegepäck und Gütern durch Luftfahrzeuge handeln, grundsätzlich egal ob entgeltlich oder unentgeltlich. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass reine Inlandsflüge (ohne Zwischenstopp im Ausland) nicht vom Anwendungsbereich des Übereinkommens umfasst sind. Gegenausnahme: Das Montrealer Übereinkommen findet dank einer EU-Verordnung, welche das Montrealer Übereinkommen sozusagen noch einmal verlautbart und für die EU-Mitgliedsstaaten ergänzt, Anwendung auf alle Flüge, welche von einer Fluglinie der Europäischen Union durchgeführt werden (also sowohl Inlandsflüge, als auch Flüge in einen Nicht-Vertragsstaat des MÜ!).
Beispiel: Ihr fliegt im Januar mit Eurowings von Köln nach Berlin. Im Februar fliegt ihr mit Lufthansa von Frankfurt nach Algier (Algerien ist kein MÜ-Vertragsstaat!). Auf beide Flüge ist das Montrealer Übereinkommen inhaltlich anwendbar.
Sachlich regelt das Montrealer Übereinkommen die Haftung bei Personenschäden, Verspätungsschäden sowie Sachschäden an Reisegepäck und Luftfracht. Im Folgenden wird genauer auf die einzelnen Punkte eingegangen und die jeweiligen Haftungsbeschränkungen genannt.
Das Verhältnis zur EU-Fluggastrechte-Verordnung
Die Verordnung Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 (kurz: EU-Fluggastrechte-Verordnung oder EU 261/04) regelt, welche Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung, Annullierung, Verspätung von Flügen sowie im Falle von Downgrades zustehen.
Es gibt somit hinsichtlich Flugverspätungen eine Überschneidung zwischen der EU-Fluggastrechte-Verordnung und dem Montrealer Übereinkommen. Sofern im konkreten Fall beide Rechtsgrundlagen zur Verfügung stehen, kann man sich im Wesentlichen aussuchen, worauf man sich stützen möchte. Es gibt dabei wesentliche Unterschiede:
- Bei der Verordnung gibt es „pauschalierte“ Ausgleichszahlungen, ohne dass ein Schadennachweis notwendig wäre – beim MÜ muss der entstandene Schaden hingegen konkret nachgewiesen werden
- Bei der Verordnung sind die Ausgleichszahlungen je nach Distanz mit 250€, 400€ oder 600€ beschränkt – beim MÜ mit 4.694 SZR (umgerechnet derzeit 5.847€)
- Bei der Verordnung wird eine Ankunftsverspätung von mindestens 3 Stunden vorausgesetzt – beim MÜ gibt es diesbezüglich keine Mindestdauer
Hat man durch eine Verspätung einen höheren Schaden erlitten und will sich nicht mit maximal 600€ zufriedengeben, kann es also durchaus Sinn machen, sich auf das Montrealer Übereinkommen zu stützen. Da vermutlich ein Gang zum Anwalt notwendig werden würde (die meisten Fluggastportale bedienen lediglich Ansprüche nach der EU-Fluggastrechte-Verordnung und ein Entgegenkommen auf eigenes Anschreiben ist hier unwahrscheinlich) und ihr den euch entstandenen Schaden konkret nachweisen und beziffern müsst, ist dies allerdings auch mit deutlich mehr Aufwand verbunden.
Der EuGH hat übrigens entschieden, dass Schadenersatzansprüche nach dem Montrealer Übereinkommen im Falle von Dienstreisen (etwa verpasste Termine) auch vom Arbeitgeber geltend gemacht werden können.
Das Montrealer Übereinkommen – Regelungen zum Gepäck
Das Montrealer Übereinkommen regelt die Verspätung, den Verlust sowie die Beschädigung (bis hin zur Zerstörung) des Fluggepäcks. Die meisten Regelungen beziehen sich dabei auf das Aufgabegepäck und nicht auch auf das Handgepäck. Die verschuldensunabhängige Haftung der Fluglinie ist hier mit 1.131 SZR (derzeit etwa 1.411€) begrenzt.
Detaillierte Ausführungen und die Information, welche Fristen es unbedingt zu beachten gilt, findet ihr in Gepäck verspätet oder verloren – Diese Rechte habt ihr und Gepäck beschädigt – Diese Rechte habt ihr.
Das Montrealer Übereinkommen – Regelungen zum Gütertransport
Bei der Beförderung von Luftfracht (Gütertransport) ist die verschuldensunabhängige Haftung für Zerstörung, Beschädigung und Verlust der Güter mit 19 SZR (derzeit rund 23,65€) pro Kilogramm des betroffenen Guts festgesetzt.
Die Fluglinie kann sich von der Haftung befreien, wenn ihr der Nachweis gelingt, dass die Zerstörung, Beschädigung oder der Verlust der Güter auf einen der folgenden Gründe zurückgeht:
- die Eigenart der Güter oder ein ihnen innewohnender Mangel
- mangelhafte Verpackung der Güter durch eine andere Person als den Luftfrachtführer oder seine Leute
- eine Kriegshandlung oder ein bewaffneter Konflikt
- hoheitliches Handeln in Verbindung mit der Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr der Güter
Beispiel: Ihr lasst Waren mit einem Gesamtgewicht von 500kg transportieren. Während dem Lufttransport werden die gesamten Waren zerstört. Die Haftungssumme würde in diesem Fall 9.500 SZR bzw. 11.825€ betragen. Kann euch die Fluglinie nachweisen, dass der Schaden deshalb entstanden ist, weil ihr die Waren mangelhaft verpackt habt, entfällt die Haftung ganz.
Das Montrealer Übereinkommen – Regelungen zu Personenschäden
Artikel 17 des Montrealer Übereinkommens regelt die Haftung der Fluglinie bei Tod oder Körperverletzung des Reisenden in Folge eines Unfalls an Bord des Flugzeuges oder beim Ein- und Aussteigen.
Eine genaue Definition des Wortes „Unfall“ enthält das MÜ nicht, so dass nach wie vor insbesondere die Frage offen ist, ob die Verwirklichung einer flugtypischen Gefahr vorausgesetzt wird. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dies in der Entscheidung X ZR 30/15 zwar letztendlich offengelassen, allerdings eine klare Tendenz erkennen lassen, dass dies wohl nicht erforderlich sei. Im gleichen Urteil sprach der BGH auch aus, dass der Begriff des Ein- und Aussteigens weit auszulegen sei. So sei davon nicht nur der letzte Schritt in das Flugzeug umfasst, sondern bereits der Bereich nach der letztmaligen Ticket- und Ausweiskontrolle (in der Regel unmittelbar vor Betreten der Flugzeugbrücke) umfasst.
Beispiel: Ihr rutscht während des Einsteigeprozesses fünf Meter vor der Flugzeugtüre in der Fluggastbrücke auf Kondenswasser aus und erleidet eine Patellafraktur. Es handelt sich um die Verwirklichung einer flugtypischen Gefahr beim Einsteigen.
Die Fluglinie haftet bei Personenschäden jedenfalls verschuldensunabhängig bis zu einem Betrag in Höhe von 113.100 SZR (umgerechnet derzeit 140.825€). Eine unbegrenzte Haftung darüber hinaus kann die Fluglinie nur abwehren, wenn sie nachweist, dass der Schaden nicht fahrlässig oder vorsätzlich auf eine Handlung oder Unterlassung ihrerseits zurückzuführen ist.
Die Fluglinie kann sich gänzlich oder teilweise von der (auch verschuldensunabhängigen) Haftung befreien, wenn sie nachweist, dass der Schaden auf fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten des Geschädigten selbst zurückzuführen ist.
Beispiel: Trotz zahlreicher Durchsagen vor und während schwerer Turbulenzen sowie mehrmaligem Aufleuchten der Anschnallzeichen schnallt ihr euch nicht an. In der Folge erleidet ihr durch Turbulenzen Kopfverletzungen. Da die Verletzung einzig auf euer fahrlässiges Verhalten zurückzuführen ist, wird sich die Fluglinie von der Haftung befreien können.
Wo können Forderungen gerichtlich geltend gemacht werden?
Gerichtsstand – somit der Ort des zuständigen Gerichts – ist nach Wahl des Klägers gemäß Artikel 33 des Übereinkommens entweder der “Wohnsitz” (müsste m.E. dem satzungsmäßigen Sitz entsprechen), die Hauptniederlassung oder die Verkaufsstelle der Fluglinie oder der Bestimmungsort (entspricht dem Endziel eurer auf einem Ticket gebuchten Reise, bei einem Returnticket daher in der Regel der ursprüngliche Abflugort). Bei Personenschäden steht wie bereits erwähnt zusätzlich auch der Wohnsitz des Geschädigten zur Wahl.
Das Montrealer Übereinkommen – Fazit
Mit der EU-Fluggastrechte-Verordnung, dem Montrealer Übereinkommen bzw. gegebenenfalls dem Warschauer Abkommen ist man gerade als von Europa aus bzw. mit europäischen Fluglinien reisender Passagier ganz ordentlich abgesichert. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich immer noch Lücken wie etwa Inlandsflüge in zahlreichen Drittstaaten. Ein weiteres Problem kann schließlich auch die Rechtsdurchsetzung im Ausland darstellen. Selbst wenn man in Deutschland ein Urteil errungen hat, dürfte die Exekution desselbigen in vielen Drittstaaten mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wenn nicht sowieso gänzlich unmöglich sein.
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