In Folge der Krise um den Coronavirus haben inzwischen die meisten Fluglinien ihren regulären Flugbetrieb großteils oder zur Gänze eingestellt. Die Konsequenz davon sind massenhafte Flugannullierungen, welche wiederum zu einer außergewöhnlich großen Anzahl an Umbuchungs- und Erstattungsanfragen seitens der Passagiere geführt haben. Wie sich nun herausstellt, verweigern inzwischen immer mehr Fluglinien die Rückerstattung der Ticketkosten.
Keine Rückerstattungen bei der Lufthansa Gruppe
Wie airliners.de berichtet, hat die Lufthansa Gruppe bereits am 21.03.2020 die Möglichkeit online eine Erstattung der Ticketkosten zu beantragen, deaktiviert und kommuniziert, dass bereits eingereichte Erstattungsanfragen erst zu einem “späteren Zeitpunkt” bearbeitet werden würden. Bereits zuvor war es einigermaßen auffällig, dass in der öffentlichen Kommunikation seitens der Lufthansa Gruppe stets nur auf die erweiterten Umbuchungsmöglichkeiten hingewiesen wurde, die Möglichkeit der Erstattung aber nicht oder kaum erwähnt wurde.
Offiziell werde derzeit in Folge der massiv angestiegenen Anfragen lediglich das System umgestellt – unter Angabe von “systemtechnischen Gründen” wurde zuletzt auch bei der Hotline die Erstattung negiert. Tatsächlich wäre der Schluss naheliegend – da inzwischen auch immer mehr andere Fluglinien prinzipiell die Erstattung verweigern – dass es sich um einen Versuch handelt, Liquiditätsengpässe zu vermeiden. Die Fluglinien haben derzeit einerseits einen massiven Buchungsrückgang zu verzeichnen und dadurch kaum Einnahmen, gleichzeitig aber Fixkosten sowie ein noch nie dagewesenes Volumen an Erstattungsanfragen zu verkraften. Dadurch kann es naturgemäß über kurz oder lang zu Liquiditätsproblem kommen – gleichzeitig hatte Lufthansa CEO Carsten Spohr eigentlich erst letzte Woche verkündet, dass man finanziell besser dastehe als fast die ganze Konkurrenz (mehr dazu in Gewinn der Lufthansa Gruppe 2019 deutlich zurückgegangen).
Die rechtliche Lage: Wahlrecht zwischen Umbuchung und Erstattung
Sofern ihr entweder von einem Flughafen eines Mitgliedsstaates der EU-Fluggastrechte-Verordnung abfliegt, oder aus einem Drittland mit einer Fluglinie eines Mitgliedsstaates zu einem Flughafen eines Mitgliedstaates fliegt, gilt die EU-Fluggastrechte-Verordnung. Als Mitgliedsstaat zählen dabei nicht nur die EU-Mitgliedstaaten, sondern auch die EWR-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen), die Schweiz, sowie einige Überseegebiete (Madeira, Kanaren, Azoren, Guadaloupe, Französisch-Guyana, Réunion, Saint-Barthélemy, Saint-Martin und Martinique; nicht jedoch Isle of Man, Gibraltar, Faröer). Umfasst sind sowohl mit Geld als auch mit Flugmeilen gebuchte Flüge, nicht jedoch der Öffentlichkeit nicht zugängliche, verbilligte oder kostenlose Tickets wie etwa Standby-Tickets für Fluglinienmitarbeiter. Wichtig ist, dass ihr über eine Buchungsbestätigung des betroffenen Fluges verfügt.
Artikel 8 der EU-Fluggastrechte-Verordnung sieht ein Wahlrecht zwischen der Erstattung des Ticketpreises sowie einer anderweitigen Beförderung (Umbuchung) vor:
“Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung
(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen
a) – der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit
– einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt,
b) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder
c) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.”
Es handelt sich dabei explizit um ein Wahlrecht des Fluggastes – Fluglinien können somit also nicht einseitig beschließen, dass lediglich eine Umbuchung angeboten wird. Im Gegensatz zur Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung sind die Erstattung bzw. Umbuchung unabhängig vom Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes.
Eine weitere, seit der Corona-Krise gängige Praxis der Fluglinien ist es, statt einer monetären Erstattung (auf das Konto oder die für die Buchung verwendete Kreditkarte) lediglich eine Erstattung in Form von Gutscheinen anzubieten. Die Europäische Kommission hat erst vor wenigen Tagen (nicht-verbindliche) Leitlinien zur Anwendung der EU-Fluggastrechte-Verordnung veröffentlicht, darunter auch zu diesem Punkt:
“It appears that various carriers are offering vouchers to passengers, who do not want to (or are not authorised to) travel any more as a result of the outbreak of Covid-19. Passengers can use these vouchers for another trip with the same carrier within a timeframe established by the carrier.
This situation has to be distinguished from the situation where the carrier cancels the journey and offers only a voucher instead of the choice between reimbursement and rerouting. If the carrier proposes a voucher, this offer can not affect the passenger’s right to opt for reimbursement instead.”
Aktuell informiert z.B. Wizz Air Kunden in den Annullierungsmails über die Möglichkeiten der Umbuchung, Erstattung in Form von Wizz Credits (Gutschein) oder monetärer Erstattung. Folgt man dem inkludierten Link, sind jedoch tatsächlich nur die ersten beiden Varianten verfügbar – die monetäre Erstattung auf das Konto oder die Kreditkarte ist laut einem Facebook-Posting der Wizz Air bis zum 14.04.2020 ausgesetzt.
Fluglinien verweigern Rückerstattung der Ticketkosten – Fazit
Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, dass Fluglinien derzeit mit nie dagewesenen, außergewöhnlichen Umständen konfrontiert sind und dadurch für viele Fluglinien die reale Gefahr einer Insolvenz besteht. Außergewöhnliche Umstände, deren Ende zudem aktuell noch nicht absehbar ist. Dass Fluglinien die Rückerstattung der Ticketpreise verweigern, ist daher wohl gewisserweise auch ein Ausdruck der Verzweiflung. Andererseits ist es ein offener Verstoß gegen die EU-Fluggastrechte-Verordnung und somit ein rechtswidriges Verhalten. Bisher bezieht man sich dabei auf Überlastungsgründe, tatsächlich dürften m.E. aber eher Liquiditätsgründe dahinterstehen. Aus Passagiersicht ist es natürlich äußerst frustrierend, nun den Erstattungen hinterherlaufen zu müssen. Eine mögliche Abhilfe wäre hier das Chargeback der Kreditkartenanbieter, uns liegen jedoch bisher keine Erkenntnisse über die Behandlung von Chargeback-Anfragen in der aktuellen Situation vor.
Was sind eure bisherigen Erfahrungen mit Erstattungen und Chargeback seit der Corona-Krise? Lasst es uns in den Kommentaren wissen!