Die massenhaften Flugannullierungen in Folge der Corona-Krise haben zu einer für Fluggesellschaften zum Teil existenzbedrohenden Anzahl an Erstattungsanfragen seitens der Passagiere geführt. Als Konsequenz davon verweigern immer mehr Fluglinien die monetäre Erstattung des Ticketpreises und bieten Reisenden lediglich eine Erstattung in Gutscheinform an. Da dies gegen die geltende Rechtslage verstößt, wirbt die deutsche Bundesregierung nun bei der EU Kommission dafür, eine Gutscheinlösung in der EU-Fluggastrechte-Verordnung vorzusehen.
Die derzeitige Rechtslage
Handelt es sich um einen Abflug von einem Flughafen eines Mitgliedsstaates der EU-Fluggastrechte-Verordnung, oder um einen Abflug aus einem Drittland mit einer Fluglinie eines Mitgliedsstaates zu einem Flughafen eines Mitgliedstaates, gilt die EU-Fluggastrechte-Verordnung. Als Mitgliedsstaat zählen dabei nicht nur die EU-Mitgliedstaaten, sondern auch die EWR-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen), die Schweiz, sowie einige Überseegebiete (Madeira, Kanaren, Azoren, Guadaloupe, Französisch-Guyana, Réunion, Saint-Barthélemy, Saint-Martin und Martinique; nicht jedoch Isle of Man, Gibraltar, Faröer). Umfasst sind sowohl mit Geld als auch mit Flugmeilen gebuchte Flüge, nicht jedoch der Öffentlichkeit nicht zugängliche, verbilligte oder kostenlose Tickets wie etwa Standby-Tickets für Fluglinienmitarbeiter.
Gutschein statt monetärer Erstattung nur bei schriftlicher Zustimmung
Bei einer Flugannullierung (Art. 5 der Verordnung) stehen dem Passagier die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 zu. Dabei handelt es sich um ein Wahlrecht des Passagiers zwischen der vollständigen Erstattung des Ticketpreises oder anderweitiger Beförderung (Umbuchung). Für den Fall der Erstattung sieht Artikel 8 Abs. 1 lit. a der EU-Fluggastrechte-Verordnung Folgendes vor:
“Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung
(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen
a) – der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, …”
Artikel 7 Abs. 3 etabliert die monetäre Erstattung als Normalfall und erlaubt die Erstattung in Form von Gutscheinen nur bei schriftlicher Zustimmung des Passagiers:
(3) Die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 erfolgen durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen.
Vor zwei Wochen veröffentlichte die Europäische Kommission (nicht-verbindliche) Leitlinien zur Anwendung der EU-Fluggastrechte-Verordnung im Kontext der Corona-Krise, darunter auch zum Thema Gutscheinlösung:
“It appears that various carriers are offering vouchers to passengers, who do not want to (or are not authorised to) travel any more as a result of the outbreak of Covid-19. Passengers can use these vouchers for another trip with the same carrier within a timeframe established by the carrier.
This situation has to be distinguished from the situation where the carrier cancels the journey and offers only a voucher instead of the choice between reimbursement and rerouting. If the carrier proposes a voucher, this offer can not affect the passenger's right to opt for reimbursement instead.“
Man könnte also meinen, dass die rechtliche Situation eigentlich geklärt wäre. Dennoch verstoßen derzeit immer mehr Fluglinien gegen die EU-Fluggastrechte-Verordnung und verweigern die monetäre Erstattung der Ticketkosten bzw. bieten ausschließlich die Möglichkeiten der Umbuchung und die Ausstellung von Gutscheinen. Der Grund dafür ist, dass die Fluglinien derzeit einerseits einen massiven Buchungsrückgang zu verzeichnen und dadurch kaum Einnahmen haben, gleichzeitig aber Fixkosten sowie ein noch nie dagewesenes Volumen an Erstattungsanfragen zu verkraften haben. Dadurch kann es naturgemäß über kurz oder lang zu Liquiditätsproblem kommen. Zudem dürften die Fluglinien auf eine politische Intervention und Änderung der EU-Fluggastrechte-Verordnung im Punkt der Rückerstattungen hoffen – wie der Vorschlag der deutschen Bundesregierung zeigt, ist dies keine unbegründete Hoffnung.
Als Detail am Rande ist anzumerken, dass Verstöße gegen die EU-Fluggastrechte-Verordnung für die Fluglinien in der Theorie teuer werden können. In Artikel 17 der EU-Fluggastrechte-Verordnung ist vorgesehen, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten wirksame, abschreckende Sanktionen für Verstöße gegen die Verordnung vorzusehen haben. Die Umsetzung dieser Regelung gestaltet sich in den verschiedenen Mitgliedsstaaten unterschiedlich. In Deutschland kann das Luftfahrt-Bundesamt ein Ordnungswidrigkeitsverfahren einleiten und gegebenenfalls ein Bußgeld in Höhe von bis zu 30.000€ über die betroffene Fluglinie verhängen.
Der Vorschlag der Bundesregierung
Das sogenannte “Corona-Kabinett” der deutschen Bundesregierung hat am 2. April einen Vorschlag zu einer möglichen Gutscheinlösung für Flugtickets präsentiert, welcher in der Hoffnung auf eine entsprechende Anpassung der EU-Fluggastrechte-Verordnung an die EU-Kommission übermittelt werden soll.
Die Gutscheinlösung soll rückwirkend auf vor dem 08.03.2020 gebuchte Flüge anwendbar sein und Fluglinien die Möglichkeit geben, die Erstattung temporär auch ohne Zustimmung des Passagiers in Form von Gutscheinen statt monetärer Erstattung vorzunehmen. Ein entsprechender Gutschein müsse dafür mindestens bis 31.12.2021 gültig sein – wird der Gutschein bis dahin nicht eingelöst, soll das Guthaben dem Passagier ausgezahlt werden müssen. Ferner ist eine Härtefallregelung für Fälle vorgesehen, in denen den Buchenden der Gutschein unzumutbar ist – nähere Details sind nicht bekannt, es ist aber davon auszugehen, dass dies äußerst restriktiv ausgelegt werden würde. Im Gegensatz zu Pauschalreisen ist bei einzelnen Flugtickets im Vorschlag keine Insolvenzabsicherung des Gutscheins vorgesehen. Da der weitere Verlauf der Corona-Krise nach wie vor unklar ist und dadurch bei vielen Fluglinien ein ernstes Insolvenzrisiko besteht, wäre es für Individualreisende in der derzeitigen Lage naturgemäß wenig zufriedenstellend einen Gutschein ohne jegliche Absicherung zu erhalten.
Die zuständige EU Kommissärin äußerte sich gegenüber der deutschen Tageszeitung WELT dahingehend, dass die Rechtslage klar sei und die Unternehmen sich daran zu halten hätten, man die aktuelle Lage jedoch weiter beobachte. Tatsächlich dürfte Deutschland nicht der einzige Mitgliedsstaat sein, der bezüglich einer Gutscheinlösung an die EU Kommission herangetreten ist und der Druck somit laufend stärker werden. Gleichzeitig warnt die EU Kommission jedoch vor nationalen Alleingängen.
Tatsächlich könnte Deutschland zwar als Alleingang ein nationales Gesetz zu einer Gutscheinlösung beschließen, auf Grund des Anwendungsvorrangs von EU-Verordnungen wäre dieses jedoch von den Gerichten außen vor zu lassen. Zudem hätte ein Verstoß gegen EU-Recht wohl ein Vertragsverletzungsverfahren zur Folge.
Bundesregierung schlägt temporäre Gutscheinlösung vor – Fazit
Tatsächlich ist derzeit ungewiss, ob es – wie von der Bundesregierung vorgeschlagen – zu einer Gutscheinlösung auf europäischer Ebene kommen könnte. Für die Fluglinien wäre ein Entgegenkommen womöglich überlebensnotwendig, aus Konsumentensicht wäre dies wohl zwiespältig. Auf der einen Seite ist es wohl auch im Interesse der Konsumenten, dass Fluglinien nicht in die Insolvenz rutschen und die Anbindung der jeweiligen Standorte weiter bestehen bleibt. Auf der anderen Seite kann man durchaus argumentieren, dass die Konsumenten hier quasi als unbesicherte Kreditgeber für Fluglinien fungieren würden und dies eigentlich nicht zumutbar wäre.
Was ist eure Meinung zu der vorgeschlagenen Gutscheinlösung der Bundesregierung?