In der Luftfahrtbranche herrscht ein besonders starker Wettbewerbsdruck, der immer wieder zu Insolvenzen von Fluglinien führt. Durch externe Effekte wie Wirtschaftskrisen oder Pandemien wird diese Entwicklung nochmal verstärkt. Dabei können Insolvenzen einerseits einen wirtschaftlichen Schaden und den Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten, andererseits Fluglinien aber auch eine Möglichkeit für einen Neubeginn bieten. Für Passagiere ist es in aller Regel aber mit negativen Konsequenzen verbunden, wenn eine Fluglinie insolvent ist. In diesem Artikel sehen wir uns deshalb an, was ein Insolvenzverfahren eigentlich bedeutet und welche Rechte betroffene Individualreisende im Insolvenzfall einer Fluglinie haben.
Fluglinie insolvent – Die Rechtsgrundlagen
Die EU-Fluggastrechte-Verordnung (EU VO 261/04) regelt die Passagierrechte im Falle von Flugannullierungen, Flugverspätungen, Downgrades oder Überbuchungen. Für den Fall der Insolvenz einer Fluglinie sieht die Verordnung jedoch keine besonderen Regelungen vor. Im Falle einer Insolvenz können daher grundsätzlich genauso Ansprüche etwa auf Rückerstattung oder Ausgleichszahlung entstehen wie im Nicht-Insolvenz-Fall.
Beispiel: Die Fluglinie ist insolvent und führt keine Flüge mehr durch, auch euer Flug wird annulliert. Wie bei einer Annullierung im “Normalfall” entsteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Rückerstattung der Ticketkosten.
Problematisch wird es aber in weiterer Folge bei der Durchsetzung eurer Rechte gegen die insolvente Fluglinie. Wichtig ist zunächst zu wissen, welches Insolvenzrecht überhaupt anwendbar ist. Ein einheitliches EU-Insolvenzrecht existiert bisher nicht. Das anwendbare nationale Insolvenzrecht sowie die Gerichtszuständigkeit bestimmen sich nach dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Unternehmens – in der Regel dem Sitz des Unternehmens. Im Falle der Insolvenz eines deutschen Unternehmens ist die Rechtsgrundlage die deutsche Insolvenzordnung (InsO).
Beispiel: Im Rahmen der Airberlin-Pleite reichte die Tochtergesellschaft NIKI zunächst einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Berlin ein. Nach einer Beschwerde sprach das Landgericht Berlin aus, dass die internationale Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren der NIKI (damaliger Sitz in Wien) bei den österreichischen Gerichten liege und österreichisches Recht anwendbar sei.
Fluglinie insolvent – Was bedeutet eigentlich Insolvenz?
Mit den folgenden Ausführungen wollen wir euch einen kleinen Überblick geben, was man sich grundsätzlich unter einer Insolvenz vorstellen kann. Die tatsächliche Komplexität dieser Materie geht natürlich weit darüber hinaus.
Die Einleitung des Insolvenzverfahrens
Damit es überhaupt zu einem Insolvenzverfahren kommen kann, muss ein Insolvenzgrund in Form einer (drohenden oder bereits eingetretenen) Zahlungsunfähigkeit oder einer Überschuldung des Unternehmens vorliegen. Die Zahlungsunfähigkeit ist in § 17 Abs. 2 InsO wie folgt definiert:
“Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.”
Die Überschuldung ist in § 19 Abs. 2 InsO folgendermaßen definiert und vom Ergebnis einer Fortbestehensprognose abhängig:
“Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.”
Liegt ein zulässiger Insolvenzantrag vor, der alle weiteren Erfordernisse (wie etwa das Vorliegen einer die Verfahrenskosten deckenden Masse) erfüllt, eröffnet das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden Einzelvollstreckungen in das Unternehmensvermögen unmöglich. Dadurch soll eine möglichst vollständige und gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sichergestellt werden.
Der Zweck und die Auswirkungen eines Insolvenzverfahrens
Ein Insolvenzverfahren kann verschiedenen Zwecken dienen, nämlich einerseits der Verwertung des Unternehmens und andererseits dessen Sanierung.
Verwertung des Unternehmens
Im “klassischen” Fall kommt es zur Einsetzung eines Insolvenzverwalters, dem nunmehr die gesamte Verfügungsgewalt über die Insolvenzmasse zukommt. Seine Aufgabe ist es ganz allgemein das noch vorhandene Unternehmensvermögen zunächst festzustellen und in weiterer Folge zu verwerten, indem etwa ausstehende Forderungen eingezogen und Sachwerte veräußert werden. Die Gläubiger haben ihre Forderungen – hier würde etwa die Forderung nach Rückerstattung der Kosten eines Flugtickets reinfallen – innerhalb einer bestimmten Frist beim Insolvenzverwalter anzumelden, welcher diese nach einer Prüfung anerkennt. Das nach Abzug von vorrangigen Forderungen wie etwa den anfallenden Verfahrenskosten noch vorhandene Vermögen wird schließlich anteilig auf die Insolvenzgläubiger verteilt. Die Insolvenzquote berechnet sich aus dem Verhältnis des noch vorhandenen Unternehmensvermögens zur Gesamtheit der noch offenen Gläubigerforderungen.
Sanierung des Unternehmens
Ein Insolvenzverfahren kann auch der Sanierung eines Unternehmens dienen. Bei der Insolvenz in Eigenverwaltung kommt es nicht zur Einsetzung eines Insolvenzverwalters, die Geschäftsführung des Unternehmens behält weiterhin die Verfügungsmacht, steht allerdings unter der Aufsicht eines Sachwalters. Diese Insolvenzform ist dann sinnvoll, wenn eine Sanierung des Unternehmens realistisch erscheint und die bisherige Geschäftsführung auf Grund ihrer Erfahrung in der Unternehmensführung, jedenfalls aber unter Beiziehung von Insolvenzexperten, dazu voraussichtlich auch im Stande ist. Im Rahmen eines Insolvenzplanes werden ggf. Restrukturierungsmaßnahmen sowie eine bestimmte Quote festgelegt, zu der die Gläubigerforderungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes befriedigt werden müssen. Um wirksam zu werden braucht der Insolvenzplan die Zustimmung einer Gläubigermehrheit, es obliegt somit der Unternehmensführung die Gläubiger davon zu überzeugen, dass eine Sanierung vorteilhafter als eine Verwertung des Unternehmens ist.
Das sogenannte Schutzschirmverfahren, das zuletzt etwa von der Ferienfluglinie Condor in Anspruch genommen wurde und auch bei der Lufthansa als Alternative zur Staatshilfe im Gespräch war, stellt eine Sondervariante der (vorläufigen) Eigenverwaltung dar. Voraussetzung ist eine Bescheinigung, dass eine Sanierung nicht aussichtslos ist und dass außerdem noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Ein Vorteil des Schutzschirmverfahrens ist, dass der Sachwalter von der Geschäftsführung relativ frei selbst ausgewählt werden kann und sich daraus eine bessere Planbarkeit ergibt.
Fluglinie insolvent – Welche Rechte hat der Individualreisende?
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden eure Forderungen (Rückerstattung der Ticketkosten, Ausgleichszahlung, Ersatz etwaig entstandener Verpflegungskosten, sonstige Schadenersatzforderungen) zu Insolvenzforderungen. Das bedeutet, dass ihr eure Forderung nicht mehr individuell per Gerichtsverfahren und Zwangsvollstreckung durchsetzen könnt, da eine Vollstreckungs- und Prozesssperre herrscht. Stattdessen könnt ihr eure Forderung nur beim zuständigen Insolvenzverwalter als Insolvenzforderung anmelden. Die Anmeldung eurer Insolvenzforderung innerhalb des dafür vorgesehenen Zeitraumes ist kostenlos, für eine nachträgliche Forderungsanmeldung wird hingegen eine Gebühr fällig. Im Endeffekt erhält ihr einen Teil eurer Forderung in einer der Insolvenzquote entsprechenden Höhe. Abhängig von der vorhandenen Insolvenzmasse kann die Quote sich auch lediglich im einstelligen Prozentbereich befinden.
Beispiel: Ihr habt eine Insolvenzforderung (rückzuerstattender Ticketpreis) in Höhe von 100€. Die Insolvenzquote beträgt 10%. Ihr erhält somit im Endergebnis 10€.
Macht eine Insolvenzversicherung Sinn?
Einige Drittanbieter von Flugreisen bieten gegen Aufpreis bereits während des Buchungsprozesses eine zusätzliche Versicherung des Fluges, unter Anderem auch für den Insolvenzfall, an. Es erscheint jedoch sinnvoller, sich einfach im Vorhinein über die finanzielle Situation der konkreten Fluglinien zu informieren und das Buchungsverhalten dementsprechend anzupassen, in dem man auf Fluglinien setzt, die nicht erkennbar von einer Insolvenz bedroht sein könnten. Gleichzeitig hat die Corona-Krise gezeigt, dass auch grundsätzlich sehr ordentlich wirtschaftende Fluglinien wie die Lufthansa auf Grund außerordentlicher Umstände unverschuldet in die Nähe einer Insolvenz gerückt werden können, zu 100 Prozent sicher sein kann man sich also nie.
Welche geldwerten Ansprüche können geltend gemacht werden?
Stellt die Fluglinie den Flugbetrieb ein, hat dies Flugannullierungen zu Folge. In diesem Fall kommen in erster Linie Ansprüche auf Rückerstattung der Ticketkosten gemäß Art. 8 der EU-Fluggastrechte-Verordnung in Frage. Stellt die Fluglinie den Flugbetrieb nicht ein, kann es dennoch zu punktuellen Annullierungen sowie Flugverspätungen, Nichtbeförderungen (Überbuchungen) oder Downgrades kommen. Sofern ihr nicht rechtzeitig über Flugannullierungen informiert wurdet oder es zu einer Ankunftsverspätung von über drei Stunden kommt, könnte euch unter Umständen auch eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der EU-Fluggastrechte-Verordnung in Höhe von – je nach Flugdistanz – 250€ bis 600€ zustehen. Kommt eine Fluglinie ihrer Pflicht der Bereitstellung von Verpflegungsleistungen im Falle von Wartezeiten auf Grund von Verspätungen oder Ersatzflügen nicht nach und kauft ihr euch selbst Verpflegung (in angemessenen Ausmaß), habt ihr bei Vorlage der entsprechenden Rechnungen auch Anspruch auf den Ersatz dieser notwendigen Kosten. Alle Details zu den einzelnen Ansprüchen könnt ihr den jeweils verlinkten Artikeln entnehmen.
Exkurs: Die Situation bei Pauschalreisen
Ist euer Flug bei einer nunmehr insolventen Fluglinie lediglich Bestandteil einer Pauschalreise, so seid ihr deutlich besser gestellt. In diesem Fall ist euer Vertragspartner der Reiseveranstalter. Der Reiseveranstalter haftet für die vertragsgemäße Durchführung der Reise und hat in einem solchen Fall für alternative Flüge zu sorgen (z.B. Umbuchen auf eine andere Fluglinie). Verliert ihr z.B. durch eine Umbuchung auf einen späteren Ersatzflug Urlaubszeit und verpasst etwa ein inkludiertes Abendessen, könnt ihr unter Umständen eine Preisminderung geltend machen. Eine gute Übersicht hierzu bietet die Reisepreisminderungstabelle des ADAC.
Fluglinie insolvent – Fazit
Eine verpflichtende Insolvenzabsicherung von Flugtickets wird von Konsumentenschutzorganisationen bereits länger gefordert. Zuletzt war auf europäischer Ebene im Zuge der inzwischen wieder verworfenen Forderungen nach einer “Gutscheinlösung” auch die Insolvenzabsicherung von Gutscheinen ein Thema. Wie die Corona-Krise zeigt, können auch zuvor durchaus finanziell stabile Fluggesellschaften schnell in Schieflage geraten. Andererseits würde eine verpflichtende Insolvenzabsicherung von Flugtickets zu höheren Kosten für die Fluglinien und damit in weiterer Folge vermutlich wiederum zu höheren Ticketpreisen für die Kunden führen. Klar ist jedenfalls, dass sich der europäische Luftverkehrsmarkt auch in Zukunft weiter konsolidieren wird und weitere Insolvenzen von Fluglinien somit so gut wie sicher sind.
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