Dass Flüge oftmals überbucht werden, dürfte den meisten von euch bekannt sein. Doch warum gibt es diese Vorgehensweise eigentlich? Die Antwort liegt im wirtschaftlichen Interesse der Fluglinien, jedes Flugzeug möglichst voll zu bekommen. So können Flex-Tickets jederzeit kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr storniert werden und auch aus anderen Gründen kommt es häufig zu No-Shows. In der Praxis wird daher spezielle Software eingesetzt, welche an Hand verschiedener Faktoren eine Überbuchungsprognose erstellt und festlegt. Welche Rechte ihr nun als betroffener Passagier im Falle einer Überbuchung habt, klären wir in diesem Artikel.
Die Nichtbeförderung in Folge einer Überbuchung eures Fluges unterscheidet sich von der Flugannullierung und der Flugverspätung dadurch, dass der geplante Flug zwar stattfindet, allerdings ohne euch an Bord.
Flug überbucht – Greift die EU-Fluggastrechte-Verordnung?
Die meisten Rechte habt ihr als Passagier grundsätzlich dann, wenn ihr von einem Flughafen eines Mitgliedsstaates der EU-Fluggastrechte-Verordnung abfliegt oder aus einem Drittland mit einer Fluglinie eines Mitgliedsstaates zu einem Flughafen eines Mitgliedstaates fliegt. Als Mitgliedsstaat zählen dabei nicht nur die EU-Mitgliedstaaten, sondern auch die EWR-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen), die Schweiz sowie einige Überseegebiete (Madeira, Kanaren, Azoren, Guadaloupe, Französisch-Guyana, Réunion, Saint-Barthélemy, Saint-Martin und Martinique; nicht jedoch Isle of Man, Gibraltar, Faröer).
Grund dafür ist, dass in diesen Fällen die Verordnung Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 (kurz: EU-Fluggastrechte-Verordnung oder EU 261/04) greift, welche die Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung, Annullierung oder großen Verspätung von Flügen regelt.
Umfasst sind dabei sowohl mit Geld als auch mit Flugmeilen gebuchte Flüge, nicht jedoch der Öffentlichkeit nicht zugängliche, verbilligte oder kostenlose Tickets wie etwa Standby-Tickets für Fluglinienmitarbeiter. Wichtig ist, dass ihr über eine Buchungsbestätigung des betroffenen Fluges verfügt.
Im Falle der Nichtbeförderung wegen Überbuchung muss in weiterer Folge zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Nichtbeförderung unterschieden werden.
Flug überbucht – Freiwillige Nichtbeförderung
Sobald für die Fluglinie absehbar ist, dass Fluggästen die Beförderung zu verweigern sein wird – im Falle der Überbuchung meist dann, wenn mehr Passagiere am Gate erscheinen als im Flugzeug befördert werden können – muss die Fluglinie zunächst versuchen, Passagiere freiwillig und gegen eine entsprechende Gegenleistung zum Verzicht auf ihre Buchung zu bewegen. In der Praxis besteht diese Gegenleistung oft aus einem Fluggutschein.
Zusätzlich zu dieser individuell vereinbarten Gegenleistung habt ihr Anspruch auf:
- vollständige Rückerstattung des Ticketpreises für den Flug, auf den ihr verzichtet habt oder
- eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder
- eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze
Solltet ihr freiwillig auf die Beförderung verzichten, habt ihr in weiterer Folge keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, da diese nur bei unfreiwilliger Nichtbeförderung zusteht. Auch ein Anspruch auf Betreuungsleistungen nach Artikel 9 (Verpflegung, Kontaktmöglichkeiten) ist in diesem Fall nicht vorgesehen. Ein freiwilliger Verzicht wird daher vor allem dann Sinn machen, wenn ihr es nicht eilig habt, die Zeit zum Abflug des Ersatzfluges in einer Lounge überbrücken könnt und die Höhe der Gegenleistung beträchtlich ist.
Die Fluglinie trifft gemäß Artikel 14 der Verordnung eine umfassende Informationspflicht über all diese Punkte sowie über im Falle der unfreiwilligen Nichtbeförderung zustehende Leistungen.
Flug überbucht – Unfreiwillige Nichtbeförderung
Finden sich keine Passagiere, die freiwillig auf den gebuchten Flug verzichten, darf die Fluglinie Passagieren gegen ihren Willen die Beförderung verweigern. Die Auswahl des unglücklichen Passagiers beziehungsweise der unglückichen Passagiere erfolgt grundsätzlich zufällig – die Wahrscheinlichkeit, dass es ausgerechnet euch trifft, ist somit mathematisch eher gering. Einzig mobilitätseingeschränkte Passagiere sowie deren Begleitperson sind vorranging zu befördern.
Erstattung/Anderweitige Beförderung
Sollte nun ausgerechnet euch die Beförderung verweigert werden, steht euch grundsätzlich der volle Anspruchskatalog offen. So habt ihr zunächst Anspruch auf Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8:
- vollständige Rückerstattung des Ticketpreises für den Flug, für den euch die Beförderung verweigert wurde oder
- eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder
- eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze
Betreuungsleistungen
Zusätzlich stehen euch auch Betreuungsleistungen gemäß Artikel 9 zu. So muss die Fluglinie euch die Möglichkeit geben, unentgeltlich zwei Telefonate zu führen oder E-Mails zu versenden.
Die Fluglinie muss weiterhin Mahlzeiten und Erfrischungen in einem im Verhältnis zur Wartezeit zur anderweitigen Beförderung angemessenen Umfang bereitstellen. Kommt die Fluglinie ihren Verpflichtungen nicht nach und nehmt ihr die Verpflegung daweil „auf eigene Kosten“ wahr, empfiehlt es sich auf jeden Fall die Rechnungen und Belege aufzubewahren, um die Ausgaben in weiterer Folge von der Fluglinie zurückverlangen zu können (auch hier muss allerdings eine gewisse Verhältnismäßigkeit der Verpflegungskosten gewahrt bleiben).
Sollte eine anderweitige Beförderung erst am nächsten Tag möglich sein und nehmt ihr dieses Angebot an, habt ihr zudem Anspruch auf eine Hotelunterbringung und Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung.
Ausgleichszahlung
Darüber hinaus steht euch außerdem eine Ausgleichszahlung gemäß Artikel 7 der Verordnung zu. Die Höhe der Ausgleichszahlung bestimmt sich dabei nach der Entfernung des jeweiligen Fluges (Flugdistanzen ermitteln mit dem Great Circle Mapper):
- 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger,
- 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 km und 3.500 km,
- 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.
Dieser Anspruch kann allerdings halbiert werden, wenn hinsichtlich des Alternativflugs einer dieser Fälle vorliegt:
- Ankunft bei allen Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder weniger nicht später als zwei Stunden oder
- Ankunft bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 und 3.500 km nicht später als drei Stunden oder
- Ankunft bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen nicht später als vier Stunden
Die Überbuchung bzw. das wirtschaftliche Interesse dahinter stellt naheliegenderweise keinen außergewöhnlichen Umstand dar, der eine Ausgleichszahlung entfallen lassen würde.
Flug überbucht – Ausgleichszahlungs-Checkliste
- Reguläres Ticket mit Geld oder Meilen gekauft
- Abflug von einem Flughafen eines Mitgliedsstaates oder Landung auf einem Flughafen eines Mitgliedsstaates an Bord einer Fluglinie eines Mitgliedsstaates
- Ihr habt nicht freiwillig auf euren gebuchten Flug verzichtet
- Euch wurde wegen Überbuchung unfreiwillig die Beförderung verweigert
Flug überbucht – Spezialfall Anschlussflug
Die meisten Probleme ergeben sich in der Praxis nicht beim „Normalfall“ eines Direktfluges, sondern beim Spezialfall der Anschlussflüge.
Beispiel: Anstelle eines Direktfluges New York – Amsterdam bucht ihr ein Ticket mit Zwischenstopp in Frankfurt (Routing: New York-Frankfurt-Amsterdam). Ausführende Fluglinie ist auf beiden Teilstrecken Lufthansa. In weiterer Folge ist der Anschlussflug von Frankfurt nach Amsterdam überbucht und wird euch die Beförderung verweigert.
Viele offene Fragen wurden dabei aber bereits durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beantwortet. Zu beachten gilt es zusammengefasst folgende Punkte:
- Die bisher dargestellten Voraussetzungen sind zu beachten
- Grundvoraussetzung ist, dass die Flüge eine Gesamtheit darstellen – dies ist der Fall, wenn die Flüge Bestandteil einer einzigen Buchung waren
- Dementsprechend unterliegt bei einer einzigen Buchung auch ein Flug aus einem Mitgliedsstaat zu einem Endziel in einem Drittstaat mit einem Zwischenstopp in einem Drittstaat der EU-Fluggastrechte-Verordnung (EuGH in C-537/17, Wegener vs Royal Air Maroc, bei einem Routing Berlin-Casablanca-Agadir)
- Dies ist auch der Fall, wenn der Zubringerflug in den Drittstaat durch die Fluglinie eines Mitgliedsstaates, der Anschlussflug vom Drittstaat in einen anderen Drittstaat jedoch im Rahmen einer Codeshare-Vereinbarung durch eine Drittstaatsfluglinie durchgeführt wird. Anspruchsgegner ist in diesem Fall die Fluglinie des Mitgliedsstaates, welche den ersten Flug durchgeführt hat (EuGH in C-502/18, CS vs České aerolinie a.s., bei einem Routing Prag-Abu Dhabi-Bangkok)
- Die für die Höhe der Ausgleichszahlung relevante Entfernung bemisst sich bei einem Flug mit Zwischenstopp nach einem (hypothetischen) Direktflug zwischen dem ersten Abflugort und dem Endziel (EuGH in C-559/16, Bossen vs Brussels Airlines, bei einem Routing Rom-Brüssel-Hamburg)
Fortgesetztes Beispiel: Die relevante Entfernung ist daher die eines Direktfluges von New York nach Amsterdam, somit geht es um eine Entfernung >3.500km und dementsprechend eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600€.
Die bereits dargestellten sonstigen Faktoren (Wurde auf den Flug freiwillig verzichtet? Kürzung um die Hälfte, weil die Ankunftsverspätung des Alternativfluges nicht mehr als vier Stunden beträgt?) sind in weiterer Folge zu beachten.
Flug überbucht – wie setze ich meine Rechte durch?
1) Eigeninitiative
Ich würde euch raten, zunächst selbst euer Glück zu versuchen. Viele Fluglinien bieten bereits auf ihren Homepages die Möglichkeit, direkt mittels Onlineformular Ausgleichszahlungen anzufordern (siehe etwa Ausgleichsanspruch bei Eurowings). Ansonsten könnt ihr euch per E-Mail oder eingeschriebenem Brief an den Kundenservice der Fluglinie richten. Musterbriefe findet ihr online zahlreich (etwa den Musterbrief der Stiftung Warentest).
2) Rechtsschutzversicherung
Der wohl einfachste und angenehmste Weg, eure Ansprüche durchzusetzen, ist das Einschalten eurer Rechtsschutzversicherung, sofern ihr eine habt bzw. der Vertrags-Rechtsschutz von eurer Versicherungspolizze umfasst ist. Hier ist es nicht notwendig, dass ihr zuerst selbst Kontakt mit der Fluglinie aufnehmt. Die Juristen der Rechtsschutzversicherung haben in der Regel bereits sehr viel Erfahrung in der außergerichtlichen Korrespondenz mit Fluglinien zur Durchsetzung derartiger Ansprüche und können gegebenenfalls einen Anwalt mit der gerichtlichen Durchsetzung eurer Ansprüche beauftragen, ohne dass euch dabei ein Kostenrisiko trifft (sofern kein Selbstbehalt tragend wird).
3) Schlichtungsstellen
Ihr könnt euch an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (zuständig bei den meisten Fluglinien) bzw. an die Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz (bei durch die SÖP nicht abgedeckten Fluglinien) wenden. In Österreich ist die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte zuständig. Voraussetzung ist, dass ihr euch zuvor selbst bereits erfolglos an die Fluglinie gewandt habt. Die dort tätigen Juristen bemühen sich im Rahmen eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens eine Lösung zwischen Fluggast und Fluglinie zu erreichen. Dieses Schlichtungsverfahren ist in der Regel kostenlos, kann dafür aber durchaus einige Monate dauern. Die österreichische APF konnte im Jahr 2018 eine Erfolgsquote von 83% vorweisen.
4) Fluggastportale wie Flightright, Fairplane, EUclaim & Co.
Weiterhin könnt ihr euch auch an Fluggastportale wie Flightright, Fairplane, EUclaim & Co. wenden. Bei Fluggastportalen handelt es sich nicht um Rechtsanwaltskanzleien. Vielmehr versuchen diese Fluggastportale zunächst selbst, außergerichtlich eine Lösung zu erzielen und beauftragen gegebenenfalls – wenn eure Erfolgsaussichten ausreichend positiv beurteilt werden – für die gerichtliche Durchsetzung Partneranwälte.
Der „Kniff“ dieser Fluggastportale ist es, mit „Kein Kostenrisiko“ zu werben. Das bedeutet, dass ihr keine Anwaltskosten oder Gerichtsgebühren tragen müsst, falls ihr vor Gericht verlieren solltet. Dafür erhält das Fluggastportal jedoch im (gerichtlichen und außergerichtlichen) Erfolgsfall eine Erfolgsprovision in Höhe von 20-35% (zzgl. MwSt.) der Entschädigungssumme. Bei einer Entschädigungssumme von 600€ und einer Erfolgsprovision in Höhe von 29% inkl. MwSt. blieben euch dann etwa 426€ über.
5) Rechtsanwalt
Ihr könnt natürlich auch direkt einen Rechtsanwalt eures Vertrauens mit der Durchsetzung eurer Ansprüche beauftragen. Der Vorteil dabei ist, dass ihr im Falle des Obsiegens den vollen Entschädigungsbetrag erhält. Der Nachteil wiederum ist, dass euch das Kostenrisiko voll trifft, ihr im Falle des Unterliegens also sowohl die eigenen als auch die gegnerischen Anwaltskosten sowie die Gerichtsgebühren zu tragen habt. Einige auf Fluggastrecht spezialisierte Kanzleien bieten zudem eine kostenlose Ersteinschätzung.
Flug überbucht – Fazit
Das Überbuchen von Flügen ist fixer Bestandteil der Luftfahrtbranche und für die Fluglinien auch wirtschaftlich nicht mehr wegzudenken. Umso wichtiger ist es, umfassend über die eigenen Fluggastrechte informiert zu sein, um optimal auf diese Situation reagieren zu können. Im besten Falle – zeitliche Flexibilität vorausgesetzt – kann man sich sozusagen ein “extra Taschengeld” für die angetretene Reise verdienen.
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