Kaum ein EU-Rechtsakt dürfte bei Fluggesellschaften so unbeliebt sein wie die EU-Fluggastrechte-Verordnung (EU 261/2004), nach der Airlines Ausgleichszahlungen im wesentlichen dann leisten müssen, wenn ein in der Europäischer Union (EU) startender Flug oder ein von einer in der EU ansässigen Airline durchgeführter Flug aus einem Drittland in die EU nicht durchgeführt wird oder mit mehrstündiger Verspätung sein Ziel erreicht. Was viele nicht wissen: Auch bei Teilflügen außerhalb der EU, die von einer Drittstaatsairline durchgeführt werden, können anspruchsberechtigt sein. Das entschied der Europäische Gerichtshof Mitte des Jahres (EuGH in C-502/18).
EuGH in C-502/18 : Entschädigung bei Flugverspätung – Anspruch gegen die “ausführende” Airline
Nach dem Wortlaut der Verordnung, der zuvor gelebten Praxis und auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) ist der Anspruch auf Entschädigungszahlungen immer gegen die ausführende Airline zu richten. Dies war besonders dann relevant, wenn es sich um so genannte Codeshare-Flüge handelte, also Flüge, die von einer Airline vermarktet, aber von einer anderen Airline durchgeführt werden. In diesem Fall hatte man sich immer mit der durchführenden Fluggesellschaft auseinander zu setzen, auch wenn man den Flug bei einer anderen Fluggesellschaft gebucht hat. In der Praxis hat dies für den Passagier oft zu unbefriedigenden Situationen geführt.
Beispiel: Gebucht wird ein Flug von Frankfurt nach Auckland über die Lufthansa Webseite. Der Flug besteht aus Teilstück A von Frankfurt nach Singapur, das von der Lufthansa durchgeführt wird, und Teilstück B von Singapur nach Auckland, das zwar auch eine LH-Flugnummer hat, aber von Singapore Airlines durchgeführt wird. Nehmen wir an, Teilstück A wird von der Lufthansa pünktlich und ohne Verspätung absolviert. Auf dem Teilstück von Singapur nach Auckland hingegen kommt es zu einer mehrstündigen Verspätung. Der Passagier wendet sich nun also an die Lufthansa und fordert eine Entschädigung nach der Verordnung über Fluggastrechte. Die Lufthansa lehnt die Entschädigung ab und verweist auf Singapore Airlines, da diese die durchführende Fluggesellschaft dieses Teilstückes gewesen ist. Singapore Airlines wiederum wird sagen, dass die EU Verordnung auf den von ihr durchgeführten Flug gar keine Anwendung finde, weil sie selbst nicht in der EU beheimatet ist und das von ihr bediente Teilstück weder in der EU starte noch dort ende. Passagiere gingen daher bei solchen, auf Langstreckenflügen sehr häufigen Fallkonstellationen bisher in der Regel leer aus.
Die Schwierigkeit in einer solchen Konstellation war bisher gar nicht so sehr rechtlicher als vielmehr praktischer Natur. Schon 2018 hatte der EuGH festgestellt, dass Flüge, die auf einem Ticket gebucht werden, grundsätzlich eine Gesamtheit darstellen und das insofern auch Ansprüche auf Entschädigung auf dem zweiten, außerhalb der EU durchgeführten Teilstück eines Gesamtfluges entstehen können. Das praktische Problem war vielmehr, die jeweilige in einem Drittland ansässige Fluggesellschaft hierfür in Anspruch zu nehmen.
Entschädigung bei Flugverspätung: EuGH passt Rechtsprechung an
In seinem o.g. Urteil vom 11.07.2019 (Az C-502/18) stellte der Europäische Gerichtshof folgendes fest:
“Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind in Verbindung mit Art. 3 Abs. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass ein Fluggast, der bei einem aus zwei Teilflügen bestehenden Flug mit Umsteigen mit Abflug von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, Zwischenlandung auf dem Flughafen eines Drittlands und Zielflughafen in einem anderen Drittland, der Gegenstand einer einzigen Buchung war, seinen Zielort mit einer Verspätung von drei Stunden oder mehr erreicht, die auf den zweiten Teilflug zurückgeht, der im Rahmen einer Codesharing-Vereinbarung von einem Luftfahrtunternehmen mit Sitz in einem Drittland durchgeführt wurde, seine Klage auf Ausgleichszahlung nach dieser Verordnung gegen das Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft richten kann, das den ersten Flug durchgeführt hat.”
Der EuGH definiert hierzu den Begriff der “ausführenden Airline” neu. Demnach kann eine Airline auch dann schon ausführende Airline sein, wenn sie die Gesamtheit der Flugsegmente auf einem Ticket verkauft hat und mindestens einen Teilflug auch selbst durchführt. Entschieden hat der EuGH über den Fall einer tschechischen Reisegruppe, die bei der tschechischen Fluggesellschaft Czech Airlines eine Flugreise von Prag nach Bangkok gebucht hatten. Der erste Teilflug wurde auch von Czech Airlines durchgeführt und landete pünktlich am Zwischenstopp in Abu Dhabi. Der zweite Teilflug von Abu Dhabi nach Bangkok, der von Etihad durchgeführt wurde, landete hingegen mit 488 Minuten Verspätung am Flughafen Bangkok Suvarnabhumi. Die Fluggäste forderten daraufhin eine Entschädigung nach der Fluggastrechte-Verordnung von dem Ticketaussteller Czech Airlines. Der lehnte unter Verweis auf Etihad als Verursacher der Verspätung eine Zahlung ab. Das in zweiter Instanz mit dem Fall befasste Stadtgericht Prag legte den Fall dem EuGH zur Klärung vor.
Der EuGH stellte wie gesagt zunächst fest, dass der Flug eine Gesamtheit darstelle, weil er auf einem Ticket gebucht wurde. Damit startete der Flug in der EU und falle somit unter den Anwendungsbereich der Fluggastrechte-Verordnung. Neu bewertet wurde nun die Frage, wer durchführende Fluggesellschaft sei. Da Czech Airlines im Rahmen eines mit den betroffenen Fluggästen geschlossenen Beförderungsvertrags tatsächlich einen Flug durchgeführt hat, könne sie als ausführendes Luftfahrtunternehmen eingestuft werden. Abschließend weist der EuGH darauf hin, dass Czech Airlines natürlich das Recht habe, sich im Innenverhältnis bei Etihad für den entstandenen Schaden zu regressieren.
EuGH Rechtsprechung zu Entschädigung bei Flugverspätung – Fazit
Bei der rechtlichen Definition der ausführenden Airline musste der Europäische Gerichtshof sicherlich ein paar juristische Lockerungsübungen machen, doch in der Sache hat das Gericht eine verbraucherfreundliche und lebensnahe Entscheidung gefällt. Der ticketausstellenden Airline ist es im Alltag sicherlich eher zuzumuten, sich mit einer Partner-Airline außerhalb der EU auf Entschädigung zu verständigen als dem betroffenen Passagier. So wird am Ende eben doch die für die Verspätung verantwortliche Airline den Schadensersatz tragen. Auch aus vertragsrechtlicher Sicht macht es Sinn, dass sich ein Verbraucher ausschließlich mit seinem Vertragspartner, der das Ticket ausgestellt und an den die Zahlung geleistet wurde, auseinandersetzen muss.
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