Ihr wartet und wartet am Gepäckband, doch euer Koffer kommt einfach nicht. Wie geht man am besten mit der Situation um, wenn das Gepäck verspätet oder in weiterer Folge sogar verloren gegangen ist? Wie könnt ihr eure Ansprüche effizient durchsetzen und welche Fristen gibt es dabei zu beachten? Diese und weitere Fragen klären wir in diesem Teil der Fluggastrechte-Artikelserie.
Gepäck verspätet oder verloren – Das Montrealer Übereinkommen
Die rechtlichen Regelungen zur Gepäckverspätung und dem Gepäckverlust finden sich im Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr von 1999 (kurz: Montrealer Übereinkommen bzw. MÜ). Das Montrealer Übereinkommen hat das Warschauer Abkommen von 1929 ersetzt. Es handelt sich hier somit um eine andere Rechtsgrundlage als bei den bisher behandelten Themen Flugannullierung, Nichtbeförderung (Umbuchung, Überbuchung), Flugverspätung oder Downgrade, wo jeweils die EU-Fluggastrechte-Verordnung einschlägig war.
Das Montrealer Übereinkommen wurde – Stand Oktober 2019 – von 136 Staaten ratifiziert, darunter auch sämtliche Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada oder China. Eine genaue Auflistung der derzeitigen Vertragsstaaten findet ihr hier auf der ICAO-Webseite.
Der Anwendungsbereich
Damit das Montrealer Übereinkommen zur Anwendung kommt, muss sowohl der Abflug- als auch der Ankunftsort des Fluges (am Endziel) in einem Vertragsstaat liegen. Ist dies nicht der Fall, kann alternativ das Warschauer Abkommen (gegebenenfalls samt etwaigen Zusatzprotokollen) zur Anwendung kommen, wenn beide Staaten dieses ratifiziert haben.
Beispiel: Ihr fliegt von Vietnam nach Laos. Das Montrealer Übereinkommen findet seit Ende 2018 Anwendung auf Vietnam, Laos ist hingegen kein Vertragsstaat. Das MÜ kann daher nicht zur Anwendung kommen. Beide Staaten haben jedoch das Warschauer Abkommen samt Haager Zusatzprotokoll ratifiziert, welches damit anwendbar ist.
Zudem muss es sich um eine internationale Beförderung von Personen, Reisegepäck und Gütern durch Luftfahrzeuge handeln, grundsätzlich egal ob entgeltlich oder unentgeltlich. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass reine Inlandsflüge (ohne Zwischenstopp im Ausland) nicht vom Anwendungsbereich des Übereinkommens umfasst sind. Gegenausnahme: Das Montrealer Übereinkommen findet dank einer EU-Verordnung, welche das Montrealer Übereinkommen sozusagen noch einmal verlautbart und für die EU-Mitgliedsstaaten ergänzt, Anwendung auf alle Flüge, welche von einer Fluglinie der Europäischen Union durchgeführt werden (also sowohl Inlandsflüge, als auch Flüge in einen Nicht-Vertragsstaat des MÜ!).
Beispiel: Ihr fliegt im Januar mit Eurowings von Köln nach Berlin. Im Februar fliegt ihr mit Lufthansa von Frankfurt nach Algier (Algerien ist kein MÜ-Vertragsstaat!). Auf beide Flüge ist das Montrealer Übereinkommen inhaltlich anwendbar.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich allesamt auf am Schalter aufgegebenes Gepäck, nicht auf Handgepäck.
Gepäck verspätet oder verloren – Die Verspätung des Gepäcks
Präventiv empfiehlt es sich, einige Tipps zu beachten bzw. zu befolgen:
- Einen leicht wiedererkennbaren Koffer verwenden oder den Koffer durch ein besonderes Band oder Schloss leichter wiedererkennbar machen
- Fotos von eurem Koffer und idealerweise dem Kofferinhalt machen
- Unbedingt den Baggage Tag, welchen ihr beim Check-In bzw. der Kofferabgabe erhält, aufbewahren
Nun tritt also tatsächlich die Situation ein, dass ihr vergeblich am Gepäckband auf euren Koffer wartet. Der erste Schritt besteht nun darin, zum Lost & Found Schalter des Flughafens zu gehen, dort das sogenannte PIR-Formular (Property Irregularity Report) auszufüllen und einen Durchschlag davon mitzunehmen. Dies ist für die spätere Beweisführung elementar.
Kostenersatz für notwendige Ersatzkäufe
Grundsätzlich übernimmt die Fluglinie (zumindest anteilig) die Kosten für notwendige Ersatzkäufe, sofern es sich beim Ankunftsort nicht um euren Wohnort handelt (da ihr in diesem Fall ja ohnehin Ersatzkleidung daheim haben werdet). Was dabei als notwendig anzusehen ist, variiert nach der Art und Dauer des Aufenthalts bzw. der Gepäckverspätung. Luxusartikel werden in der Regel aber jedenfalls nicht mit der Schadenminderungspflicht des Reisenden vereinbar sein.
Jedenfalls ersetzt werden in der Praxis essentielle Hygieneartikel – sofern euch die Airline nicht ohnehin gleich vor Ort am Flughafen eigene „Notfallkits“ mit Zahnbürste & Co anbietet. Bei einer Gepäckverspätung von mehreren Tagen werden zudem auch die Kosten für angemessene Ersatzkleidung übernommen, meist allerdings nur zu 50%, da euch die Ersatzkleidung ja auch weiterhin zur Verfügung stehen wird und ihr daraus einen weiteren Nutzen habt. In besonderen Fällen kann auch speziellere bzw. teurere Kleidung ersetzt werden.
Beispiel: Ihr fliegt zu einer Hochzeit, euer Anzug befindet sich im verspäteten Gepäck. Die Fluglinie hätte in diesem Musterbeispiel auch die Kosten für einen neuen Anzug anteilig zu erstatten.
Fristen und summenmäßige Haftungsbegrenzung
Wichtig ist, dass ihr sämtliche Rechnungen und Belege eurer Ersatzkäufe gut aufbewahrt, um diese in weiterer Folge der Fluglinie gegenüber nachweisen zu können. Spätestens binnen 21 Tagen nachdem ihr euer Gepäck schließlich wieder erhalten habt, müsst ihr eine schriftliche Schadensanzeige an die Fluglinie richten, widrigenfalls eine Klage gegen die Fluglinie in weiterer Folge ausgeschlossen ist (Ausnahme bei Arglist).
Die Fluglinie haftet für die durch die Gepäckbeschädigung entstandenen Schäden (Kosten für notwendige Ersatzkäufe) verschuldensunabhängig, ihr müsst der Fluglinie also kein Verschulden nachweisen. Die Haftung der Fluglinie ist allerdings der Höhe nach begrenzt, konkret auf derzeit (Stand 24.10.2019) maximal 1.399€. Die Höhe wurde im Montrealer Übereinkommen mit 1.000 Sonderziehungsrechten (SZR) festgelegt und wurde ab 2010 auf 1.131 SZR erhöht. Bei Sonderziehungsrechten handelt es sich um eine künstliche Währung des Internationalen Währungsfonds. Den aktuellen Wechselkurs zum Euro könnt ihr jederzeit auf der Seite des IWF einsehen.
Eine höhere Haftungsgrenze ist mittels einer sogenannten Wertdeklaration möglich. Dabei gebt ihr der Fluglinie rechtzeitig bekannt, dass euer Gepäck einen besonders hohen Wert hat (weil ihr etwa einen sehr teuren Sammlergegenstand transportiert) und entrichtet einen von der Fluglinie bestimmten Zuschlag. Die Haftungsgrenze ist dann bis zum deklarierten Wert erhöht.
Gepäck verspätet oder verloren – Der endgültige Verlust des Gepäcks
Statistisch gesehen tauchen 95% der verloren geglaubten Gepäckstücke binnen 5 Tagen doch wieder auf. Sollte dieser Fall jedoch nicht eintreten und ihr euer Gepäck auch nach 21 Tagen seit der Landung noch nicht erhalten haben, gilt euer Gepäck damit offiziell als verloren.
Ihr habt nun die Möglichkeit, Schadenersatzansprüche hinsichtlich des verlorenen Koffers bzw. der Kofferinhalte gegen die Fluglinie geltend zu machen. Auch hier haftet die Fluglinie verschuldensunabhängig und der Höhe nach begrenzt mit maximal 1.399€ (Ausnahme: vorangegangene Wertdeklaration). Zudem wird lediglich der Zeitwert und nicht der Neuwert des Gegenstandes ersetzt.
Beispiel: Ihr transportiert im Aufgabegepäck einen Tennisschläger, welchen ihr vor einem Jahr für 500€ neu gekauft habt. Euer Aufgabegepäck geht verloren. Neu kostet das gleiche Tennisschläger-Modell derzeit 450€ (Neuwert). Euer Tennisschläger wies aber schon deutliche Gebrauchsspuren auf und war nur noch 250€ wert (Zeitwert). Ihr könnt nur den Zeitwert in Höhe von 250€ als Schadenersatz geltend machen.
Zu Beweiszwecken ist es vorteilhaft, wenn ihr Fotos des Koffers und Kofferinhalts gemacht habt und/oder noch über entsprechende Rechnungen verfügt. Die Frist für die Einbringung der Klage auf Schadenersatz beträgt 2 Jahre ab dem Tag der Landung.
Gepäck verspätet oder verloren – Wie setze ich meine Rechte durch?
Auf Grund der relativ eng bemessenen Fristen, ist es wie bereits ausgeführt zunächst auf jeden Fall notwendig, dass ihr selbst direkt am Flughafen das PIR-Formular ausfüllt und einen Durchschlag davon mitnimmt sowie hinsichtlich etwaiger Ersatzkäufe binnen 21 Tagen eine schriftliche Schadensanzeige an die Fluglinie schickt.
1) Eigeninitiative
Im Falle des Gepäckverlusts könnt ihr euch zunächst selbst per E-Mail oder eingeschriebenen Brief an den Kundenservice der Fluglinie richten und eine Entschädigungszahlung fordern. Je mehr Beweise (Rechnungen, Fotos) ihr hinsichtlich des Koffers bzw. des Kofferinhalts vorweisen könnt, desto eher wird die Fluglinie gewillt sein eine Entschädigungszahlung in der von euch gewünschten Höhe zu leisten.
2) Rechtsschutzversicherung
Der wohl einfachste und angenehmste Weg, eure Ansprüche durchzusetzen, ist das Einschalten eurer Rechtsschutzversicherung, sofern ihr eine habt bzw. der Vertrags-Rechtsschutz von eurer Versicherungspolizze umfasst ist. Hier ist es nicht notwendig, dass ihr zuerst selbst Kontakt mit der Fluglinie aufnehmt. Die Juristen der Rechtsschutzversicherung haben in der Regel bereits sehr viel Erfahrung in der außergerichtlichen Korrespondenz mit Fluglinien zur Durchsetzung derartiger Ansprüche und können gegebenenfalls einen Anwalt mit der gerichtlichen Durchsetzung eurer Ansprüche beauftragen, ohne dass euch dabei ein Kostenrisiko trifft (sofern kein Selbstbehalt tragend wird).
3) Schlichtungsstellen
Ihr könnt euch an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (zuständig bei den meisten Fluglinien) bzw. an die Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz (bei durch die SÖP nicht abgedeckten Fluglinien) wenden. In Österreich ist in diesem Fall die Schlichtungsstelle für Verbrauchergeschäfte zuständig. Voraussetzung ist, dass ihr euch zuvor selbst bereits erfolglos an die Fluglinie gewandt habt. Die dort tätigen Juristen bemühen sich im Rahmen eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens eine Lösung zwischen Fluggast und Fluglinie zu erreichen. Dieses Schlichtungsverfahren ist in der Regel kostenlos, kann dafür aber durchaus einige Monate dauern.
4) Rechtsanwalt
Ihr könnt natürlich auch einen Rechtsanwalt eures Vertrauens mit der Durchsetzung eurer Ansprüche beauftragen. Der Vorteil dabei ist, dass ihr im Falle des Obsiegens den vollen Entschädigungsbetrag erhält. Der Nachteil wiederum ist, dass euch das Kostenrisiko voll trifft, ihr im Falle des Unterliegens also sowohl die eigenen als auch die gegnerischen Anwaltskosten sowie die Gerichtsgebühren zu tragen habt. Einige auf Fluggastrecht spezialisierte Kanzleien bieten zudem eine kostenlose Ersteinschätzung.
Gepäck verspätet oder verloren – Fazit
Man merkt dem Montrealer Übereinkommen an, dass es sich um ein weltweites Abkommen handelt und dementsprechend Kompromisse notwendig waren – etwa hinsichtlich der eingeschränkten Haftungshöhe und den kurzen Fristen. Dennoch ist man damit zumindest zu einem gewissen Grad geschützt und kann gegebenenfalls ja immer noch auf eine Wertdeklaration zurückgreifen.
Was sind eure Erfahrungen mit Gepäckverspätungen und Gepäckverlust?
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