Darf man einen Flug verfallen lassen? Diese Frage hat sich sicher schon der ein oder andere von euch gestellt. Einerseits kann sich die Frage stellen, ob nach Verfallenlassen eines Hinfluges der Rückflug noch angetreten werden kann, und andererseits stellt sich gerade bei günstigen Flugangeboten mit Zubringerflügen aus dem Ausland die Frage, ob man das letzte Flugsegment einfach verfallen lassen darf. In diesem Artikel gehen wir auf den aktuellen Stand der Dinge ein.
Flug verfallen lassen – Die Szenarien
Von sogenannten “No-Shows” spricht man international, wenn es um das Thema “Flüge verfallen lassen” geht. Es gibt zwei Szenarien, die in der Praxis einigermaßen relevant sind. Beiden Szenarien ist dabei gemein, dass sowohl der Hin- als auch der Rückflug auf einem Ticket gebucht wurden und zumindest ein Flugsegment vom Passagier nicht geflogen wird.
Vorweg: No-Shows sind in der EU-Fluggastrechte-Verordnung (261/04) nicht geregelt und ist dies derzeit auch für die Zukunft nicht absehbar.
Szenario 1 – Ihr tretet den Hinflug an, wollt aber den Rückflug oder ein Segment des Rückfluges nicht antreten
Aufmerksame Leser von meilenoptimieren werden wissen, dass es regelmäßig besonders günstige Business- oder First Class Angebote mit Zubringerflügen aus anderen europäischen Ländern gibt. Dies basiert im Wesentlichen auf der Freiheit der Fluglinien, ihre Tarife an lokale Märkte und die dort vorherrschende Wettbewerbssituation anzupassen.
Beispiel: Ein Routing Amsterdam-Frankfurt-Chicago-Frankfurt-Amsterdam mit Lufthansa kann günstiger sein als Frankfurt-Chicago-Frankfurt. Für den Hinflug ab Amsterdam wird ein günstiger Positionierungsflug gebucht.
Als deutscher Passagier würde man in diesem Beispielfall gerne die Rückreise bereits in Frankfurt beenden und das Segment Frankfurt-Amsterdam verfallen lassen wollen. Nun stellt sich die Frage: Darf man das eigentlich?
Punkt 3.3.3. der Beförderungsbedingungen der Lufthansa sieht Folgendes vor:
3.3.3. Sofern Sie sich für einen Tarif entschieden haben, der die Einhaltung einer festen Flugscheinreihenfolge vorsieht, beachten Sie bitte: wird die Beförderung nicht auf allen oder nicht in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge der einzelnen Teilstrecken bei ansonsten unveränderten Reisedaten angetreten, werden wir den Flugpreis entsprechend Ihrer geänderten Streckenführung nachkalkulieren. Dabei wird der Flugpreis ermittelt, den Sie in Ihrer Preisgruppe am Tag Ihrer Buchung für Ihre tatsächliche Streckenführung zu entrichten gehabt hätten. Dieser kann höher oder niedriger sein als der ursprünglich bezahlte Flugpreis.
War die von Ihnen ursprünglich gebuchte Preisgruppe für die geänderte Streckenführung am Tag der Buchung nicht verfügbar, wird für die Nachkalkulation die günstigste verfügbar gewesene Preisgruppe für Ihre geänderte Streckenführung zugrunde gelegt.Sofern am Tag der Buchung für Ihre geänderte Streckenführung ein höherer Flugpreis zu entrichten gewesen wäre, werden wir unter Anrechnung des bereits gezahlten Flugpreises die Differenz nacherheben. Bitte beachten Sie, dass wir die Beförderung davon abhängig machen können, dass Sie den Differenzbetrag gezahlt haben.
Lufthansa behält sich also das Recht vor, in diesem Fall eine Differenz zu dem Preis, der bei Buchung des tatsächlich geflogenen Routings angefallen wäre, zu verrechnen. 2019 landete auch tatsächlich ein derartiger Fall vor Gericht, der für viel Aufsehen gesorgt hatte (Rechtskräftiges Urteil gegen Lufthansa zum Verfall von Teilstrecken). Lufthansa hatte von einem Passagier nachträglich über 2.000 Euro als Differenz gefordert, nachdem dieser das letzte Segment seines Fluges verfallen ließ. Lufthansa erlitt vor dem Amtsgericht eine Schlappe. Während das Gericht eine Nachberechnung nicht generell ausschloss, sei die aktuelle Bestimmung jedenfalls zu intransparent. Nachdem auch das Landgericht eine ablehnende Tendenz erkennen ließ, zog Lufthansa schließlich auch die Berufung an ebendieses zurück.
Das Kalkül dabei ist, eine (für die Fluglinie negative) höchstgerichtliche Rechtsprechung zu verhindern bzw. gegebenenfalls auf einen zukünftigen Fall mit besseren Vorzeichen abzustellen. Somit können weiterhin No-Show-Gebühren von anderen Passagieren nachgefordert werden – ein großer Teil der Passagiere beschreitet dagegen nicht den Gerichtsweg, aus wirtschaftlicher Sicht lohnt sich ein derartiges Vorgehen für die Fluglinien also.
Tatsächlich gibt es allerdings bereits ein höchstgerichtliches Urteil – der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat 2010 in der Entscheidung Xa ZR 5/09 festgehalten, dass Fluglinien gegebenenfalls einen Aufpreis in Rechnung stellen können, wenn das Ticket entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben nur für die Umgehung des Tarifsystems gekauft wurde. Wenn der Passagier bei der gleichen Fluglinie bereits einen alternativen Rückflug gebucht hat, liegt diese Vermutung naturgemäß nahe.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) in Österreich lehnte die Klausel mit dem Argument ab, dass diese zu weit gefasst sei, da auch Passagiere, welche ein Flugsegment auf Grund von Krankheit, höherer Gewalt oder Verspätung des Zubringerfluges nicht antreten können, von Nachzahlungen umfasst wären. Dementsprechend findet sich aktuell in den Beförderungsbedingungen der Lufthansa unter Punkt 3.3.4. auch eine für österreichische Verbraucher angepasste Variante der Klausel, welche diese Punkte berücksichtigt.
Zusammengefasst kann also festgehalten werden, dass die Lage von Land zu Land unterschiedlich ist und auf Deutschland bezogen keine klare Aussage getroffen werden kann. Das BGH Urteil aus dem Jahr 2010 hat die Möglichkeit einer Nachberechnung bei missbräuchlicher Tarifausnutzung jedenfalls nicht verneint, wie das Höchstgericht die Lage hingegen nunmehr im Jahr 2020 beurteilen würde, ist unklar.
Szenario 2: Ihr tretet den Hinflug nicht an, wollt den Rückflug aber wahrnehmen
Noch vor einigen Jahren enthielten die Beförderungsbedingungen vieler Fluglinien wie etwa der Lufthansa oder British Airways eine Klausel, wonach ein Rückflug bei Nichtwahrnehmung des Hinfluges automatisch verfällt. Dieser Praxis schob der deutsche BGH in der bereits erwähnten Entscheidung Xa ZR 5/09 einen Riegel vor und sind entsprechende Klauseln in aller Regel heutzutage auch nicht mehr in den Beförderungsbedingungen europäischer Fluglinien zu finden. Bei diversen Billigfluglinien wie etwa Ryanair stellt sich diese Frage ohnehin nicht, da sich die Preise im Gegensatz zu Legacy Carriern immer auf Oneway-Flüge beziehen.
Beispiel: Zwei Einzelflüge kosten bei Ryanair genau so viel ein Returnflug. Bei Lufthansa hingegen wären zwei Einzelflüge in aller Regel teurer als ein Returnflug.
Nun kommt es tatsächlich hin und wieder vor, dass Return-Tickets günstiger als ein One-Way-Ticket sind und dieser Umstand von schlauen Vielfliegern auch ausgenutzt wird. Wie wir nun bereits wissen, kann bei gezielter Umgehung des Tarifsystems unter Umständen ein Aufpreis nachverrechnet werden. Nachdem ein Rückflug auf Grund der Nichtwahrnehmung des Hinfluges nicht mehr automatisch verfallen darf, haben die Fluglinien einen neuen Kniff entdeckt. Hierzu blicken wir nochmal auf den letzten Satz des Punkt 3.3.3. der Beförderungsbedingungen:
Bitte beachten Sie, dass wir die Beförderung davon abhängig machen können, dass Sie den Differenzbetrag gezahlt haben.
Lässt ihr also den Hinflug verfallen, kann euch Lufthansa den Aufpreis für einen One-Way-Flug verrechnen und euch bei Nichtbezahlung die Beförderung verweigern. Die Basis dafür wäre natürlich, dass ihr in der Absicht, das Tarifsystem der Fluglinie zu umgehen, gehandelt habt. Ein dahingehender Beweis wäre von der Fluglinie allerdings erst im Streitfall vor Gericht zu erbringen – hier kommt wieder das Kalkül ins Spiel, dass ein Großteil der Passagiere ohnehin eher bezahlen wird als sich auf einen Rechtsstreit einzulassen und selbst im Streitfall die Rechtslage derzeit unklar ist.
Flug verfallen lassen – Fazit
In vielen Bereichen der EU Fluggastrechte herrschen heutzutage – nicht zuletzt auf Grund der zahlreichen EuGH-Judikatur – klare Verhältnisse und man weiß im Wesentlichen, woran man ist. Bei der Frage, ob man einen Flug verfallen lassen darf, ist dies leider nicht so – die Rechtsprechung variiert von Land zu Land, auch wenn tendenziell eher eine verbraucherfreundliche Auslegung erkennbar sein mag. Auch national ist die Lage aber nicht immer klar – selbst wenn der BGH im Jahr 2010 die Möglichkeit der Verrechnung eines Aufpreises für möglich gehalten hat, würde ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass diese Ansicht in einem neuen Verfahren von dem Höchstgericht heutzutage immer noch Bestand hätte. Meines Erachtens zeigt diese Thematik, dass es dringend eine einheitliche, europäische Regelung braucht, egal ob diese nun konsumenten- oder fluglinienfreundlich ausfallen würde.
Was ist eure Meinung zu No-Shows? Habt ihr andere Interpretationen der Rechtslage? Lasst es uns wissen!
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